Im Land Avalon
I
Als Annemarie am Morgen aufwachte, strahlte ihr die Sonne bereits ins Gesicht.
Sie spürte: dies ist ein besonderer Tag. Warum, das konnte sie nicht sagen, es
war einfach nur ein Gefühl.
Annemarie stand auf, tappte verschlafen in die Küche, setzte die Kaffeemaschine
in Gang, schlurfte ins Bad und wusch sich den restlichen Schlaf aus den Augen. Es war
ihr erster Urlaubstag - damals. "Was soll ich anfangen mit meiner freien Zeit?"
fragte sie sich. Noch lagen vier Wochen vor ihr, ohne Verpflichtungen, ohne Pläne,
ohne Dinge, die ihr "du musst..." zuzurufen schienen. "Niemand wird
mich vermissen, wenn ich einfach verschwinde," dachte sie. Ihre Familie konnte
sie von überall anrufen, sie würde sich über eine Ansichtskarte freuen.
Während Annemarie lustlos in der Zeitung blätterte und ihren Kaffee trank,
sehr süß, schokoladenbraun und heiß, nahm ein Gedanke immer mehr Gestalt
an in ihrem Kopf: "ich buche eine Abenteuer-Reise." Wie das Abenteuer aussehen
sollte, wusste sie noch nicht genau. Irgendetwas Verrücktes wollte sie machen,
etwas Neues kennen lernen. Etwas, das nicht Jeder machte, einfach ausbrechen aus dem
üblichen Trott.
Also zog Annemarie Jeans und T-Shirt an und ging ins nächste Reisebüro. Der
junge Mann, dem sie ihr Anliegen vortrug, sah sie etwas seltsam an. "Ich wüßte
doch gerne, was er in diesem Moment denkt," überlegte sie. Aber er beherrschte
sich, fragte nicht weiter und suchte ein paar Prospekte heraus, die sie gemeinsam durchsahen.
~~~~~
Langsam wich der Nebel der Kraft der Sonne. Über den weiten Bergen sah man
sie aufgehen und der Tag versprach schön zu werden. "Das richtige Wetter,
mal wieder auszureiten," dachte Donovan. Er bat Fanny, das Mädchen, das eben
das Frühstück brachte, ihm ein paar Vorräte einzupacken und dem Stallburschen
aufzutragen, er möge sein Pferd satteln. Nachdem er seine heiße Milch getrunken
und das Honigbrot gegessen hatte, verabschiedete er sich von seinen Eltern und seiner
kleinen Schwester, nahm seine weiche Lederjacke und die Handschuhe und ging nach draußen
in den Hof. Er pfiff nach Anndra, seinem Hund und überlegte, ob er auch den Falken
mitnehmen sollte. Preciosa aber saß schon auf seinem Sattelknauf. "Auf den
Burschen ist Verlass!" freute sich Donovan. Fanny reichte ihm seinen Proviant
und verschwand wieder in der Küche.
~~~~~
Die Prospekte sahen alle gleich aus: Reisen für Kurzentschlossene, Angebote, bei
denen man fast noch Geld dazu bekam, wenn man buchte, aber nichts, das wirklich Abenteuer
bedeuten könnte. Annemarie wollte das letzte Heft schon gar nicht mehr öffnen,
als ihr beim schnellen Durchblättern das Bild einer alten, imposanten Burg ins
Auge fiel. Auch der junge Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches bemerkte ihr
Zögern. Das machte die junge Frau erst recht neugierig. Also begann sie, das keine-Ahnung-wievielte
Reiseprospekt durchzublättern. Ein Prickeln lief ihr über den Rücken,
und die Seiten schienen beim Umblättern zu knistern. Da! Da war das Bild mit der
Burg. Bevor Mary, wie ihre Freunde sie nannten, anfangen konnte zu lesen, sagte der
junge Mann, daß dies sicher nicht der Urlaub sei, den sie sich vorgestellt hatte.
Erstaunt sah Mary ihn an, stille Fragen im Blick. Er lächelte etwas verkrampft,
stammelte von Sonne, Strand und Meer und sie sei doch jung und schön und nicht
für eine so alte, muffige Burg geeignet.
~~~~~
Donovan hatte die heimatlichen Hügel schnell passiert. Er ließ Preciosa
in den inzwischen blauen Himmel fliegen. Vielleicht brachte sie ja eine Taube, die
er sich zu Mittag am offenen Feuer braten konnte. Anndra tollte herum und freute sich,
endlich wieder herumstreunen zu dürfen. Donovan sah in die unendlichen Weiten
des Himmels und spürte ein seltsames Prickeln zwischen seinen Schulterblättern,
das er noch nicht kannte. Es war nicht unangenehm. Es bedeutete Spannung, etwas Unbekanntes,
das ihn aber nicht wirklich unsicher werden ließ.
~~~~~
"Warum nur ist der junge Mann so nervös?" fragte Annemarie sich. Das
machte sie erst recht neugierig, und sie riss ihm fast den Prospekt aus der Hand. Die
Burg stand hoch auf einem kleinen Hügel, inmitten weiterer sanfter Hügel.
Ein kleines Dorf lag zu ihren Füßen, wie gemalt und aus einer anderen Zeit,
fast wie vergessen. Burg Avalon, wie der Prospekt verriet, schien schon sehr
alt zu sein, da sie den Baustil nicht kannte. Die Beschreibung war nicht wie die üblichen
Reisebeschreibungen: kein Preis, keine Anzahl der Zimmer oder Betten, keine Auflistung
weiterer, im Preis enthaltener oder extra zu zahlender Leistungen. Nur eine Adresse,
wo die Wanderkarte zu dieser Burg erhältlich sei. Herr Schaffenrath, das stand
auf seinem Namenschild, entriss Mary fast den Prospekt. Er stammelte etwas von Mittagspause
und sie möge bitte um 14.00 Uhr wiederkommen, wenn sie sich für eine Reise
entschieden hätte. Als Mary sich plötzlich auf der Straße wiederfand,
war sie froh, sich die Adresse gemerkt zu haben.
In Gedanken versunken ging sie nach Hause. Dieser Herr Schaffenrath hatte sich wirklich
seltsam verhalten. Ganz so, als wäre es ihm nicht recht, daß sie diese Burg
entdeckt hatte. Das stachelte natürlich ihre Neugier an. Irgendein Geheimnis schien
mit dieser Burg Avalon verbunden zu sein.
~~~~~
Donovan zügelte sein Pferd, als er an einen kleinen Bach kam. Er ließ es
laufen, denn er wusste, es wird zu ihm zurückkommen. Preciosa hatte eine weiße
Taube gebracht. Verwundert sah er seinen Falken an. Weiße Tauben waren selten.
Das war ein Omen, nur für ihn bestimmt. Zum Dank kraulte er ihren Hals mit einer
Feder, die sie verloren hatte. Ein kleines Feuer war schnell entfacht und Donovan sah
neugierig in seinen Proviantbeutel. Fanny hatte sogar an einen Knochen für Anndra
gedacht.
~~~~~
Im Internet wurde Mary schnell fündig. Es gab endlos viele Seiten, die sich mit
der Burg Avalon beschäftigten. Zuerst war sie enttäuscht. "Sollte Herr
Schaffenrath doch Recht gehabt haben, daß das nichts für mich ist?"
Sie las weiter. Dabei fiel ihr auf, daß es zwar recht genaue Beschreibungen über
die Burg, ihren Baustil und die umliegenden Ländereien gab, aber weder eine Beschreibung,
wo sie liegt, noch etwas Genaues über die Bewohner, ein Urlaubsangebot oder das
Dorf zu ihren Füßen. Es gab eine Reihe von Bildern, doch nach mehrmaligem
Lesen stellte sie fest, daß die Informationen eigentlich recht nichtssagend waren.
Seltsam! Auch das Kribbeln im Bauch hörte nicht auf. Als Mary sich gerade überlegte,
daß sie besser einen Brief an die im Prospekt angegebene Adresse schicke mit
der Bitte um weitere Informationen, fand sie ganz versteckt einen Link: Wanderplan
zur Burg. Schnell druckte sie ihn aus und stellte erstaunt fest, daß der Ausgangspunkt
des Wanderwegs gar nicht so weit entfernt von ihrem Ort war.
Peter Schaffenrath massierte sich die schmerzenden Schläfen. Er hoffte, die junge
Frau würde nicht nach den Öffnungszeiten auf der Eingangtür schauen.
Denn dann würde sie merken, daß er nur einen Vorwand gesucht hatte, sie
los zu werden. Er kam sich sehr grob und unhöflich vor. Doch sie durfte um keinen
Preis der Welt zur Burg Avalon gelangen. Die Zeit war noch nicht reif. Er verstand
auch nicht, warum er das Bild gerade in diesem Prospekt, zwischen Bildern voller bezaubernder
Sandstrände an den schönsten Plätzen der Erde, eingeklebt hatte. Als
er die Burg verlassen hatte, damit sein jüngerer Bruder frei sein konnte, war
die Rede von 10 Jahren. In diesen 10 Jahren sollte die Welt nichts von Burg Avalon
erfahren. Zumindest nicht mehr, als in alten Schriften zu lesen stand, als sei sie
ein Relikt aus vergangenen Tagen.
Annemarie begann, ihren Rucksack zu packen. Ein paar Tipps fand sie noch auf einer
Falkenseite, die auch Burg Avalon erwähnte. "Verstehen tue ich sie
nicht, diese Tipps", murmelte sie vor sich hin. Doch jedes Mal, wenn sie einen
nicht befolgen wollte, weil er ihr unsinnig erschien, schlug ihr Magen Purzelbäume.
Das hatte sie recht schnell gelernt. Mary goss alle Pflanzen in der Wohnung, brachte
ihrer Nachbarin einen Wohnungsschlüssel mit der Bitte, den Briefkasten zu leeren
und nach den Blumen zu sehen. Sie bat sie auch, die Kräuter, die sie auf ihrem
Balkon zog, zu ernten und die reifen Tomaten zu essen. Dann rief sie ihre Eltern an
und verabschiedete sich. Wohin es sie zog, verriet sie nicht. Nur, daß es etwas
mit Kultur zu tun habe und daß sie ihnen eine Postkarte schicken würde.
Mary schob schnell eine Pizza in den Backofen und öffnete eine Flasche Rotwein,
um es sich am letzten Abend vor der Wanderung ins Ungewisse gemütlich zu machen.
Sie dachte darüber nach, wie die letzten Jahre ihres Lebens an ihr vorbeigegangen
sind. Da war die Trennung von ihrem langjährigen Freund. Es war eine schmerzliche
Zeit. Dennoch war sie im Nachhinein froh über diesen Schlußstrich. Wie hieß
das alte Sprichwort? "Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende?"
Die letzten gemeinsamen Monate waren wirklich nicht sehr schön. Dann kam der Umzug
in die Stadt, der neue Job, keine Freunde und Bekannten, die sie von der Trübsal
befreit hätten. Das hatte sich zwar recht schnell geändert, doch wirklich
eng hatte sie sich an niemanden mehr binden wollen. Weder an eine Frau, noch an einen
Mann. Nachdem sie sich in der Stadt zu sehr eingeengt gefühlt hatte, beschloss
sie, lieber in einen kleinen Ort in der Nähe zu ziehen. Es war nicht schwer, eine
hübsche Wohnung zu finden. Ihre Siebensachen hatte sie schnell in einigen Umzugskartons
verpackt, der Möbelwagen kam und ein paar kräftige Männer hatten innerhalb
weniger Stunden ihr Zuhause in anderen Vierwänden wieder aufgebaut. Die Wohnung
lag am Ortsrand, in einem Dreifamilienhaus. Untern wohnten die Vermieter, ein junges
Ehepaar mit zwei Kindern. Manchmal hörte Mary sie im Garten herum toben, wenn
sie auf dem Balkon saß. In der Wohnung unter ihr lebte schon seit langer Zeit
eine ältere Dame, die sie darum bitten konnte, nach ihren Blumen und dem Briefkasten
zu sehen, wenn sie mal für ein paar Tage wegfahren wollte. Das Vermieterpaar hatte
das Haus von seinen Eltern geerbt, als diese in ein Altenwohnheim zogen, weil beide
nicht mehr so gut laufen konnten. "Ja," dachte Annemarie, "jetzt wohne
ich schon seit 5 Jahren in diesem kleinen Nest. Es ist schön hier, ruhig und beschaulich,
ohne Trubel." Trubel und Streß hatte sie in ihrem Job als Sekretärin
einer Baustoffhandlung in der Stadt genug. Da nahm sie es gerne auf sich, ein paar
Kilometer zu fahren, wenn sie dadurch fast wie im Paradies leben konnte.
~~~~~
Donovan legte sich müde zurück ins weiche Gras. Er dachte an seinen Bruder
Peter. Was wohl aus ihm geworden ist, fragte er sich. Langsam kamen die Erinnerungen
in ihm hoch. Vor ungefähr sechs Jahren ging Peter fort. Donovan war damals noch
fast ein Kind und verstand es nicht. Lange hatte er auf die Rückkehr seines Bruders
gewartet. Aber die Zeit verging und er kam nicht. Das Leben auf der Burg ging weiter.
Sein Vater brachte ihm bei, wie so ein riesiger Haushalt aufgebaut ist, die Ländereien
bewirtschaftet wurden, wer welche Aufgabe hatte, mit entsprechenden Rechten und Pflichten.
Nur wenn er nach seinem Bruder Peter fragte, erhielt er keine richtige Antwort. Er
kam mit den Leuten im Dorf gut aus. Sie fragten ihn um Rat, wenn sein Vater nicht da
war. Hin und wieder ging er am Abend in das Wirtshaus, wo er sich mit den jungen Männern
des Ortes zum Kartenspielen verabredete. Sie tranken leichtes Bier, aßen manchmal
frisches Brot mit Wurst und amüsierten sich. An der Theke standen an diesen Abenden
die älteren Männer, prosteten ihm zu, lächelten und diskutierten mit
ihren Nachbarn über Gott und die Welt. Seine Mutter ging selten aus. An den Dienstagen
ging sie zum Markt, um die nötigen Nahrungsmittel einzukaufen, die die Bewohner
der Burg nicht selber herstellen konnten. Manchmal brachte sie Stoffe mit, damit Katharina
ein neues Kleid bekam. Die meisten Leute aus dem Dorf waren Bauern. Sie bewirtschafteten
die Felder seines Vaters. Ein älterer Mann, dem die Feldarbeit zu mühselig
geworden war, half seitdem im Garten, und ein junges Mädchen half der Köchin
in der Burgküche. Vor ein paar Jahren gab es noch ein Kindermädchen. Doch
seit Katharina ins Schulzimmer ging, wohnte es nicht mehr in dem Zimmer neben Katharina.
Die junge Frau hatte in der Zwischenzeit geheiratet und ein Baby bekommen. Ihr Mann
war aber immer noch bei seinem Vater als Stallbursche angestellt.
Katharina tollte auf dem Hof herum, warf mit kleinen Steinen nach den Hühnern
und ließ sich unbekümmert vom Stallburschen dafür rügen. Sie wusste,
daß Donovan gleich nach Hause kommen müsse und wollte ihn gerne als erste
begrüßen. Ihr großer Bruder war ihr der Liebste, da er immer Zeit
für sie hatte. Manchmal nahm er sie auch mit auf seine Ausritte. Doch die dauerten
dann gewöhnlich nicht den ganzen Tag, da sie an den Vormittagen ins Schulzimmer
mußte, wo ein alter, weiser Mann ihr Lesen, Schreiben, Rechnen und viele andere
interessante Dinge beibrachte. Viele Nachmittage verbrachte sie auch mit ihrer Mutter,
die ihr verschiedene Handarbeiten beibrachte: Nähen, Sticken, Stricken und Knüpfen.
Sie mochte aber das Handarbeiten nicht gerne und hielt sich lieber im Garten auf und
hörte dem Gärtner gespannt zu, wenn er ihr über die verschiedenen Pflanzen
berichtete.
~~~~~
Nachdem Annemarie die Küche wieder in Ordnung gebracht hatte, kontrollierte sie
noch einmal den Inhalt ihres Rucksacks und legte sich danach schlafen. Zuerst hatte
sie den Eindruck, sie könnte vor lauter Aufregung nicht einschlafen, doch diese
Gedanken hatte sie kaum zuende gedacht, da war sie auch schon im Reich der Träume.
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Donovan sah schon von weitem seine Schwester im Hof herumtollen, und ein Lächeln
erhellte sein Gesicht. Gleich würde sie vertrauensvoll ihre kleine Hand in seine
schieben und ihn bitten, von seinem Tag zu erzählen. Sie würde Preciosa versorgen
und Anndra streicheln und ihn fragen, wann er sie das nächste Mal wieder mitnehmen
würde. "Donovan!" Schon hörte er ihre helle Stimme nach ihm rufen.
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Peter erinnerte sich genau an den Tag seines Abschieds. Er wollte gerne die ganze Welt
kennen lernen, nicht nur ein Leben auf Burg Avalon und die daraus resultierenden
Pflichten haben. Sein Vater erklärte ihm, dass dies nicht möglich sei, es
ließe sich nicht miteinander vereinbaren. Entweder er würde der neue Herr
von Burg Avalon nach seinem Tod, oder er bekäme die Freiheit, sein Leben
so zu gestalten, wie er es sich vorstellte. Einen Rückweg aber gäbe es nicht,
sagte der Vater. Lange rang Peter mit sich. Sollte er auf der Burg bleiben oder wollte
er mehr von der Welt erfahren? Was ihn lange von einer Entscheidung abhielt, war die
Tatsache, daß es keinen Rückweg geben würde.
Der neue Morgen lachte genauso in ihr Gesicht, wie der vorangegangene. Mary sprang
fast übermütig aus dem Bett, machte schnell einen Kaffee, zog sich an, huschte
zum Bäcker, besorgte ein paar Brötchen und las dann beim Frühstück
noch schnell die Zeitung. Zwei Stunden später war sie mit Rucksack, Proviant und
einem Buch unterwegs zu neuen Abenteuern und studierte die Wanderkarte in ihren Händen.
Mit dem Bus fuhr Annemarie zum Hauptbahnhof in der Stadt. Es kam nicht oft vor, daß
sie in die Stadt mußte, außer zum Arbeiten. Mary löste einen Fahrschein
zu einem kleinen Ort namens Engelshand und wunderte sich, daß dort überhaupt
ein Zug hielt. Nachdem sie auch diesen Ort hinter sich gelassen hatte, änderte
sich die Landschaft. "Ich sollte öfter wandern gehen," dachte sie. Die
Wälder wurden dichter, den Himmel konnte sie durch das dichte Blätterdach
kaum noch sehen. Dennoch war der Weg klar zu erkennen.
~~~~~
Trevor stand schon gesattelt im Hof, als Donovan mit Preciosa auf dem Handgelenk erschien.
Er spürte die gleiche Unruhe in sich, wie am Vortag. Wieder zog es ihn hinaus
in die Hügel, als würde etwas dort auf ihn warten. Er verabschiedete sich
von Katharina, die ihn gerne begleitet hätte und pfiff nach Anndra. Obwohl sie
an diesem Tag nicht ins Schulzimmer mußte, wollte Donovan nicht, daß sie
ihn begleitete. Irgendetwas hielt ihn zurück.
~~~~~
Peter hatte schlecht geschlafen in dieser Nacht. Immer wieder hatte er das Bild der
jungen Frau vor seinen Augen, die im Reiseprospekt Burg Avalon entdeckt hatte.
"Warum?" fragte er sich, "habe ich das Bild vor der abgesprochenen Zeit
dort eingeklebt?" Sein Vater erklärte ihm zum Abschied, daß Donovan
noch zu jung sei, sich eine Frau zu suchen. Er müsse noch so viel lernen. Peter
dachte oft an seine Eltern, an Donovan und das Baby Katharina. "Ach nein,"
korrigierte er sich. "Katharina ist ja inzwischen 7 Jahre alt." Er dachte
auch an seine Großmutter. Von ihr hatte er viel gelernt. Was ihm besonders im
Gedächtnis geblieben war, war der Satz: "Alles, was geschieht, hat seinen
Sinn. Auch wenn wir Menschen ihn nicht sofort verstehen!" Daran musste er an diesem
Morgen denken. Im Geiste sah er die junge Frau durch Wälder wandern, über
kleine Hügel und durch weite Täler. Er spürte, daß sie unterwegs
war, daß sie einen Weg gefunden hatte. Am vergangenen Tag war sie nicht wiedergekommen.
Sie hatte keine der üblichen Reisen gebucht, die er normalerweise verkaufte. Er
spürte fast Donovans innere Unruhe, als sei es seine eigene. "Ob die umgekehrte
Verbindung auch so stark ist?" fragte er sich.
~~~~~
"Ach Peter, warum hast du uns verlassen?" fragte Donovan sich voller Zweifel
und Nervosität. "Ich könnte gerade jetzt einen großen Bruder gebrauchen,
der mir sagt, was ich tun soll, woher meine Unruhe kommt." Er ließ Preciosa
in den Himmel steigen und sah ihr sehnsüchtig hinterher. Dann stieg er vom Pferd,
setzte sich unter einen Baum auf einer kleinen Kuppe und ...
~~~~~
Mary machte Rast an einem kleinen Bach. Das Wasser war rein und kalt, so daß
sie ihren Tee noch sparen konnte. "Wenn die Karte stimmt, liegen noch viele Kilometer
vor mir," dachte sie. Die junge Frau lehnte sich an einen rauhen Baumstamm und
träumte von Burg Avalon. Es verwirrte sie zwar, daß sie nicht auch
von Menschen träumte, die sie bewohnen, oder von der weiteren Umgebung, aber es
beunruhigte sie nicht. In der Ferne hörte Mary den Schrei eines Falken, bevor
sie eindöste.
~~~~~
Katharina schmollte, als Donovan die Burg ohne sie verließ. Sie lief zu ihrer
Mutter, um sich trösten zu lassen. Doch Pia war damit beschäftigt, eines
der Gästezimmer herzurichten. Sie bat Katharina, frische Blumen aus dem Garten
zu holen. Verwundert schnitt sie kleine Glockenblumen ab, die sie Fanny gab, damit
sie sie in eine Vase stellte und zur Mutter brachte. "Mami," fragte Katharina,
"wer kommt denn zu Besuch?" - "Ich weiß es nicht, Kind."
antwortete Pia. "Aber ein Gefühl sagt mir, ich solle das Zimmer fertig machen
für eine junge Frau."
~~~~~
Peter war zufrieden mit seinem Leben. Er hatte einen Beruf, der ihm Spaß machte.
In der ersten Zeit, nachdem er sein Elternhaus verlassen hatte, wusste er nicht so
recht, was er tun sollte. Sein Leben hatte sich bis dahin auf die Burg und das kleine
Dorf am Fuße des Hügels beschränkt. Plötzlich hatte er unendliche
Möglichkeiten, was er alles machen konnte. Die neuen Eindrücke erschlugen
ihn fast. Er mußte mühsam lernen, mit der Technik umzugehen. Er kannte ja
vorher kein Radio, keinen Fernseher, hatte nie eine Kaffeemaschine gesehen. Rollladen
waren ihm unbekannt, Autos erschreckten ihn, und die Eisenbahn oder ein Flugzeug erschienen
ihm wie ein Wunder. Dennoch gewöhnte er sich schnell an Fahrkartenautomaten, Telefone,
Supermärkte, Fahrräder oder Türklingeln. Sein Vater hatte ihm geraten,
erst einmal zu reisen, damit er möglichst viele verschiedene Länder und Menschen
kennen lernen konnte. Dafür hatte er ihm genügend Geld gegeben mit dem Hinweis,
er solle es zu einer Bank bringen. Dort sei es sicherer aufgehoben, als in seiner Tasche.
Auch eine Bank hatte Peter nie zuvor gesehen oder davon gehört. Da das Reisen
ihm Spaß gemacht hatte, er aber nicht allzu weit von Burg Avalon weg sein
wollte, fand er eines Tages fast zufällig den kleinen Ort, in dem er jetzt sein
Reisebüro hatte. Vorher hatte auch er, genau wie Annemarie, in der Stadt gelebt
und in einem großen Reisebüro gearbeitet, bevor er den kleinen Laden in
Amorhausen entdeckte und für sich zu einem eigenen Geschäft umbaute.
Die Wohnung, die darüber lag, war frei und er zog gerne aus der Stadt weg. Die
Länder, die er seinen Kunden empfahl, hatte er in den letzten Jahren selber bereist.
Er konnte wertvolle Tipps geben, kannte sämtliche Bräuche und Regeln und
wusste instinktiv, wem er welche Reise anbieten sollte. Es war immer ein Erfolg. Oft
bekam er eine Postkarte von zufriedenen Kunden oder sie besuchten sein Reisebüro
nach dem Urlaub, um sich zu bedanken. Nur die junge Frau war ihm nach wie vor ein Rätsel.
"Warum funktionierte meine Intuition diesmal nicht?" fragte er sich zum wiederholten
Mal. Doch so sehr er auch grübelte, er konnte sich keinen Reim darauf machen,
warum er das Bild der Burg gerade am vergangenen Tag in seinen Prospekt geklebt hatte
und sie kein Interesse an anderen Reisen hatte, die er vorgeschlagen hatte.
~~~~~
Pia klopfte leise an die Tür zu Darryls Büro und trat ein. Darryl sah von
seinen Büchern auf und lächelte, als er seine Frau sah. "Du siehst so
nachdenklich aus, was ist los?" fragte er sie. Pia grinste etwas schief, setzte
sich auf seinen Schreibtisch und sah ihren Mann lange an. "Wie doch die Zeit vergeht,"
dachte sie. Laut sagte sie: "Wer mag wohl zu Besuch kommen, Liebling?" -
"Besuch?" fragte Darryl. "Niemand hat sich angesagt." - "Aber
ich habe da so ein Gefühl," antwortete Pia. "Auch an Peter muß
ich seit Tagen denken." Sie sahen sich eine Weile schweigend an. Jeder hing seinen
Gedanken nach. "Ja, Peter," dachte Darryl "ob es ihm gut geht?"
Damals, als er sich vor sechs Jahren entschied, die Burg zu verlassen, hatten sie ausgemacht,
daß er sich erst nach zehn Jahren melden dürfe. Vorher sollte Donovan verheiratet
sein, damit der alte Brauch gewahrt bleiben sollte, nach dem der, der die Burg verlässt,
nicht länger der Erbe sein konnte und sein Nachfolger eine gesicherte Existenz
haben sollte, die mit einer Ehe beginnt. Pia war glücklich darüber, daß
sie eines Tages eher zufällig bei einem ihrer Spaziergänge Darryl kennen
gelernt hatte. Damals war sie noch recht jung und verstand erst nicht so recht, was
er ihr von seiner Burg erzählte. Das erschien ihr alles wie ein Märchen,
eine Geschichte, die im Fernsehen gezeigt worden sein musste. Doch nachdem sie seinen
Eltern vorgestellt worden war, seine jüngeren Geschwister kennen gelernt hatte
und schon mehrmals Burg Avalon besucht hatte, erkannte sie, daß die Realität
auch anders aussehen konnte, als das, was sie bisher erfahren hatte. Sie wuchs in einem
kleinen Ort, nahe dem Dorf unterhalb der Burg auf. Natürlich kannte sie die Burg
und auch die Geschichten, die über sie erzählt wurden. Dennoch schien es
ihr wie ein Traum, daß Darryl sich ausgerechnet in sie verliebt hatte. Sie hatte
gerade eine Lehre in einer kleinen Gärtnerei begonnen, was man auch heute ihrem
Garten ansehen konnte. Die Blumen in den Vasen, die die Räume zierten, waren besonders
liebevoll arrangiert. Der Kräutergarten war der schönste in der Gegend und
allen Heilern bekannt, die gerne hin und wieder nach einem bestimmten Kraut fragten.
Sogar Katharina begann, sich zu ihrer Freude für den Garten und besonders die
Kräuter zu interessieren. "Liebling," sagte Darryl nach einiger Zeit
"es scheint, als sei unser jüngerer Sohn schneller erwachsen geworden, als
wir es für möglich gehalten haben."
~~~~~
Der Falke saß auf einem Baum ganz in der Nähe, als Mary erwachte. Die Sonne
ging schon unter, so daß sie sich nach einem kurzen Blick auf die Wanderkarte
wieder auf den Weg machte.
~~~~~
Donovan wunderte sich, warum Preciosa nicht zurück kam. So lange war sie noch
nie von ihm weg.
~~~~~
Annemarie wanderte Richtung Norden, an dem kleinen Bach entlang, der ihr leise ein
romantisches Lied vorzusingen schien. Der Falke blieb in der Nähe. Als die Sonne
fast untergegangen war, sah sie in der Ferne einen Hügel mit einem großen
Gebäude. "Das muß die Burg sein," dachte sie und lächelte.
Diese fast greifbare Nähe beflügelte Marys Schritte. Dennoch erkannte sie,
daß sie sie nicht an diesem Tag erreichen konnte. Sie war einfach noch zu weit
weg. Also sah die Wanderin sich nach einem Unterschlupf um. Es gab verschiedene Holzschuppen
am Weg, die sicher den Bauern zur Unterbringung ihrer Werkzeuge dienten. "Ob ich
dort drinnen eine Lagerstätte finde?" fragte sie sich. Vorsichtig versuchte
sie, die Klinke der schiefen Tür herunter zu drücken. Sie war unverschlossen,
also trat Mary ein. Ja, sie hatte richtig vermutet. In einer Ecke standen Schaufeln,
Hacken, Sensen und anderes Werkzeug. In einer anderen Ecke erkannte sie einen großen
Haufen Stroh. "Ach, ist das ein schönes Bett!" freute sie sich. Mary
stellte ihren Rucksack neben dem Stroh ab, ging noch einmal an den Bach, um sich mit
Wasser zu versorgen, das sie in einen Blecheimer, den sie in der Hütte gefunden
hatte, füllte. Der Falke war nicht mehr zu sehen.
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Donovan machte sich ohne Preciosa auf den Heimweg. Es war schon fast dunkel, als er
den Hof erreichte. Gerade, als er vom Pferd steigen wollte, stürzte Preciosa auf
seinen Sattelknauf nieder. "Wo warst Du so lange?" fragte er sie. Doch sie
sah ihn nur an. Er hatte das Gefühl, bis tief in sein Herz.
Pia rief nach Katharina, sie solle sich für das Abendessen umziehen, als Darryl
und Donovan gemeinsam die große Eingangshalle betraten. Sie lächelten sich
an. Donovan wechselte seine Reitkleidung gegen einen bequemen Abendanzug und begab
sich in das kleine Esszimmer, wo der Rest der Familie schon auf ihn wartete. Auf Katharinas
Frage hin erzählte er von Preciosas merkwürdigem Verhalten und sah seinen
Vater fragend an.
~~~~~
Peter spürte immer noch das merkwürdige Kribbeln zwischen seinen Schulterblättern,
als er sich am Abend mit einigen Freunden traf. Sie wollten eine neue Kneipe besuchen,
die sich schnell in dem kleinen Ort als Treffpunkt für jüngere Leute etabliert
hatte. Es gab kleine, runde Stehtische, eine lange Theke, Tische mit je vier Stühlen
in gemütlichen Nischen. Die Musik war nicht zu laut, sie kannten auch die anderen
Gäste und der Wirt und die junge Bedienung machten einen netten Eindruck. Die
Gespräche drehten sich, wie immer, wenn es auf das Wochenende zuging, um das Fußballspiel
des ortsansässigen Vereins. Doch Peter war nicht ganz bei der Sache und schweifte
mit seinen Gedanken wieder ab in die Vergangenheit. "Peter?" hörte er
seinen Freund Stefan fragen "hörst Du überhaupt zu? Wo bist Du mit Deinen
Gedanken?" Verwirrt blickte er sich um und wusste erst gar nicht, wo er sich befand.
~~~~~
Nach dem Essen ging Katharina in ihr Kinderzimmer. Sie durfte noch ein wenig spielen
und sollte dann schlafen. Donovan zog sich auch zurück, um noch eine Weile in
seinem neuen Buch über die Falkenjagd zu lesen. Doch da er noch Durst hatte, wollte
er in die Küche gehen und sich einen Krug frisches Quellwasser holen. Als er an
der nicht ganz geschlossenen Esszimmertür vorbei kam, hörte er, wie sich
seine Eltern unterhielten. Er schnappte seinen Namen auf und blieb neugierig stehen.
"Darryl, wir müssen es ihm sagen. Das schieben wir nun schon viel zu lange
vor uns her," hörte er seine Mutter sagen. "Nein, es ist noch zu früh,"
antwortete Darryl. "Zu früh?" fragte Pia. "wie lange willst Du
denn noch warten? Ich spüre schon seit gestern, daß etwas auf uns zukommt.
Warum, glaubst Du, habe ich das Gästezimmer fertig gemacht?" - "Pia,
nun sei doch vernünftig," bat Darryl "der Junge ist eben erst volljährig
geworden. Als Peter uns damals verließ, hieß es, daß wir zehn Jahre
Zeit haben. Peter ist erst sechs Jahre weg. Donovan ist noch zu jung zum heiraten."
- "Ja, Darryl, das mag sein, doch es ändert nichts an der Tatsache, daß
eine junge Frau hierher unterwegs ist. Und sie hat die Burg in einem Prospekt in Peters
Reisebüro gesehen. Verstehst Du denn nicht?" Seine Mutter klang recht verzweifelt.
Auch wenn Donovan nicht alles verstand, was er hörte, schien doch alles recht
ernst zu sein. Es ging um seine Zukunft und um Peter. "Liebling," hörte
er seinen Vater sagen "damals, als Peter uns verlassen wollte, weil er in der
realen Welt herum kommen wollte und nicht den Rest seines Lebens hier auf Burg Avalon
verbringen wollte, hatten wir keine andere Möglichkeit, als diese Absprache mit
ihm. Es ist seit Generationen ein Familiengesetz, daß der älteste Sohn diese
Burg eines Tages übernimmt. Wenn er das nicht möchte, kann er seinen eigenen
Weg in der Welt finden, aber nur zu bestimmten Bedingungen. Er darf erst dann zurückkommen,
wenn der jüngere Bruder verheiratet ist und eine Familie gründen kann, die
die weitere Erbfolge sichert. Die Weise Frau rechnete einen Tag in zehn Jahren aus.
Und so habe ich die Lehrzeit von Donovan darauf ausgerichtet. Er ist einfach noch zu
jung. Außerdem - woher weißt Du das mit dem Reiseprospekt?" Pia seufzte
hörbar, bevor sie ihrem Mann antwortete: "jetzt lach´ mich bitte nicht
aus, aber ich träumte schon vor ein paar Tagen davon, daß eine junge Frau
in Peters Reisebüro kommen würde, das Bild von der Burg sehen und keinen
anderen Wunsch haben würde, als dort hin zu gelangen. Es war so real, daß
es gar nicht anders gewesen sein kann. Und was Deine Argumente betrifft: ich weiß
das alles, Darryl. Doch es ändert nichts an den Tatsachen, die ich Dir eben genannt
habe. Wie ging es uns denn, als wir uns kennen lernten? Wir wollten doch auch möglichst
schnell heiraten. Erinnerst Du Dich nicht mehr daran? Dein Vater war auch nicht begeistert
darüber, weil wir noch so jung waren. Und das vorbestimmte Schicksal fragt nicht
immer nach Absprachen und dem Alter von Menschen. Oft macht es, was es für richtig
hält, ob es uns gefällt, oder nicht." Darryl sah seine Frau lange stumm
an. "Donovan ist jetzt älter, als du damals, er ist 23." murmelte Pia
seufzend vor sich hin. Darryl erinnerte sich daran, wie er sie kennen gelernt hatte.
Damals ritt er häufig aus, seinen Falken auf dem Sattelknauf, von einer inneren
Unruhe getrieben. Er konnte einfach nicht still zuhause bleiben, seinem Vater zuhören
und die Arbeiten in der Burg verrichten, die er immer getan hatte. Er hatte keine Muße,
dem Stallburschen bei der Ausbildung der Pferde zur Hand zu gehen. Sogar die gemeinsamen
Stunden am Abend, das gemeinsame Essen mit der Familie, die Spielabende mit seinen
Geschwistern, alles machte ihn damals nervös. Er dachte an Donovan, der seit einigen
Tagen einen gehetzten Ausdruck in seinen Augen hatte, und erinnerte sich an den Tag,
als er Pia das erste Mal traf: bei einem seiner Ausritte sah er auf einem der abgeernteten
Felder ein Mädchen, das die liegengeblieben Ähren aufsammelte. Sie hatte
auch einige Blumen im Arm. Als er näher kam, erkannte er, daß sie begonnen
hatte, einen Kranz zu binden. Gerade als er sein Pferd wenden wollte, winkte sie ihm
zu.
Donovan hatte genug gehört. Er ging schnell in die Küche und dann auf einem
anderen Weg zurück in sein Zimmer. Er wollte seinen Eltern heute nicht mehr begegnen.
Zuerst musste er über das, was er gehört hatte, in Ruhe nachdenken.
~~~~~
Peter verabschiedete sich früh von seinen Freunden, indem er etwas von Kopfschmerzen
murmelte. Zuhause setzte er sich auf den Balkon, weil er in Ruhe nachdenken wollte.
"Wie war das alles, als er sich vor sechs Jahren von seinen Eltern, seinem Bruder
Donovan und dem Baby Katharina verabschiedet hatte?" Bevor der Tag kam, hatte
es erbitterte Auseinandersetzungen mit seinem Vater gegeben. Er wollte nicht verstehen,
daß die Burg nicht die Erfüllung seines Lebens war. Natürlich waren
auch die Erklärungen seines Vaters nicht leicht zu verstehen. Alte Familientraditionen...
Donovan ist nur drei Jahre jünger als er. Warum sollte er nicht einfach für
ein bis zwei Jahre die Welt kennen lernen und dann seinen Platz einnehmen können?
Das hatte er damals nicht verstanden. Heute verstand er diese Bedingung. In der modernen
Welt gab es so vieles, was es auf Burg Avalon nicht gab und nie geben würde.
Und ob er je wieder ohne Computer, Kaffeemaschine, Fernseher und andere liebgewonnene
Technik leben könnte, wagte er nicht zu realisieren. Dennoch verstand er nicht,
daß er das Bild der Burg in den Reiseprospekt geklebt hatte, den er der jungen
Frau am Vortag gezeigt hatte. Ob das Schicksal seine eigenen Wege ging?
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Als Mary im Stroh erwachte, hatte sie das Gefühl, nie besser geschlafen zu haben.
Als Bad mußte der kleine Bach herhalten. Im Rucksack fand sie noch ein paar Kekse
und einen Apfel, die zusammen mit dem frischen Wasser des klaren Baches ein wunderbares
Frühstück ergaben. Dann machte Annemarie sich wieder auf den Weg. Es dauerte
nicht lange, und der Falke tauchte wieder auf. Es schien so, als wolle er sie begleiten
und wüßte ganz genau, was ihr Ziel ist.
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Donovan fühlte sich völlig zerschlagen nach der letzten, unruhigen Nacht.
Er war froh, daß Katharina noch schlief, so daß er beim Frühstück
ungestört mit seinen Eltern reden konnte. Nachdem er gestanden hatte, sie am Abend
zuvor unabsichtlicht belauscht zu haben, erblickte er zwei betretene Gesichter. Pia
sah dennoch irgendwie erleichtert aus und nach einem kurzen Gefühl von Wut begann
Darryl, ihm zu erklären, um was es wirklich ging. Er erzählte von Radios,
Fernsehern, Kaffeemaschinen und anderen technischen Dingen, unter denen sich Donovan
nicht so recht etwas vorstellen konnte. Aber er verstand, daß es Dinge waren,
die außerhalb der Burg in jeden Haushalt gehörten. Dies war auch der Grund,
warum Peter sich zwischen seinem Zuhause und der Fremde entscheiden mußte. Ein
Schritt zurück wäre wohl nur schwer möglich gewesen. "Aber,"
begann er "warum kommt dann dieses Mädchen aus der, hm, anderen Welt hierher?
Sie kennt doch auch diese technischen Geräte. Wenn Peter nicht darauf verzichten
kann, wie kann sie es dann, wenn sie damit aufgewachsen ist? Wie konntest Du darauf
verzichten, Mutter?" Seine Eltern wechselten einen ratlosen Blick miteinander.
"Donovan," ergriff seine Mutter das Wort "es gibt Dinge, die diese Burg
betreffen, die sind anders. Ich möchte sie mit magisch oder mystisch beschreiben.
Es heißt, daß es ganz selten eine außenstehende Frau oder einen außenstehenden
Mann gibt, die für diese Welt, unsere Welt auf Burg Avalon, geschaffen
sind. Auch ich gehörte zu diesen modernen Menschen, da hast Du recht. Doch all
diese Dinge, von denen wir Dir eben erzählt haben, waren mir nicht wichtig. Als
ich Deinen Vater kennen lernte, war ich überglücklich. Ja, es war fast so,
als wäre ich froh gewesen, meiner Welt entfliehen zu können. Vielleicht ging
es Peter ähnlich, als er das Gefühl hatte, seiner Welt hier entfliehen zu
müssen?" Donovan sah abwechselnd von seiner Mutter zu seinem Vater und wieder
zurück. Sie hatten zwar einige Fragen beantwortet, aber eine ganze Reihe neuer
Fragen in ihm zurück gelassen. "Mutter, woher wissen denn das Mädchen
und ich, ob wir füreinander bestimmt sind? Ich kann sie doch nicht heiraten, weil
sie zufällig hier aufkreuzt, oder?" fragte Donovan immer noch verwirrt. "Mein
Junge!" antwortete diesmal sein Vater. "Das sollst Du auch nicht. Nimm es
als Zeichen, als Omen, wenn Du magst. Es ist etwas Besonderes, daß die junge
Frau auf dem Weg hierher ist. Wenn Du gleich in den Stall gehst, um auszureiten, wirst
Du feststellen, daß Preciosa nicht da ist. Auch sie spürt, was los ist.
Schon seit zwei Tagen begleitet sie das Mädchen. Sie ist sehr klug, Deine Preciosa."
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Die Burg wurde immer größer, je näher Mary kam. Das Kribbeln im Bauch
hörte nicht auf und auch der Falke schien ihre Nervosität zu spüren.
Dennoch blieb er bei ihr. Als Mary sich in der Mittagszeit an den Bach setzte, der
immer noch leise murmelnd neben dem Weg dahinfloss, ließ sich der Falke ganz
in der Nähe auf einem dicken Ast nieder. "Wie schön er ist," dachte
sie. Im Rucksack fand sie eine Birne und etwas Schokolade. Ein Stück von der Birne
bot die junge Frau dem Falken an. Als er es nicht annahm, war sie zuerst traurig. Doch
dann fiel ihr ein, daß sie gelesen hatte, daß Falken Fleisch fressen. Als
ob er ihre Gedanken gelesen hätte, flog er davon und kam kurz darauf mit einer
Maus in seinen Fängen wieder.
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Donovan stieg auf sein Pferd und war trotz der Erklärung seines Vaters erstaunt,
daß Preciosa nicht da war. Er ritt den kleinen Hügel hinunter, um diesmal
dem kleinen Bachlauf zu folgen. Warum, das konnte er sich nicht erklären. Normalerweise
zog es ihn in die Hügel. Dann sah er Preciosa, wie sie im Sturzflug auf das nahe
Feld niederschoss. Kurz darauf hatte sie ein kleines Tier in ihren Fängen und
drehte ab. Er sah, daß sie sich in der Nähe des Weges, der dem Bach folgte,
niedergelassen haben mußte. Neugierig ritt er näher. Als er die junge Frau
erblickte, die unter einem Baum saß und zu träumen schien, stieg er ab,
nahm Trevor am Zügel und ging langsam in ihre Richtung. Der Falke hatte ihn erspäht
und flog ihm entgegen. Vom Geräusch der schlagenden Flügel erschreckt, blickte
Annemarie auf. Vor ihr stand ein junger, ihr unbekannter Mann mit dem Falken auf seiner
behandschuhten Hand.
"Ist das dein Falke?" fragte sie. Donovan konnte nur nicken. "Er ist
schön," murmelte Annemarie, nur um überhaupt etwas zu sagen. "Er
ist eine Sie," erklärte Donovan. "Ihr Name ist Preciosa." - "Oh,
das klingt hübsch," dachte die junge Frau und sah den Falken nun mit anderen
Augen. "Preciosa bedeutet: Schöne." erklärte Donovan. Sie sahen
sich schweigend an. Keiner wusste so recht, was er sagen sollte. Nach einer Weile flog
Preciosa davon, ganz so, als spürte sie, daß die beiden jungen Menschen
alleine sein wollten.
Donovan atmete tief durch, reichte Annemarie seine Hand und sagte nur:
"Komm..."
© Anke
18. April 2003
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