Im Land Avalon
II
Mary erblickte ein freundliches Funkeln in Donovans Augen, erhob sich und nahm seine
Hand.
~~~~~
Peter saß in seinem Reisebüro und wartete auf die ersten Kunden des Morgens.
Er fragte sich, was aus der jungen Frau geworden ist, die ein paar Tage zuvor "seine"
Burg im Prospekt entdeckt hatte. Warum hatte er sich dazu hinreißen lassen, das
Blatt in den Katalog zu kleben? Hatte er nicht seinen Eltern versprochen, erst nach
zehn Jahren wieder seine Heimat zu betreten? "Ok, ich betrete sie ja nicht,"
dachte er. Ob damit allerdings auch gemeint war, daß er nicht jemanden auf Burg
Avalon aufmerksam machen durfte, wußte er nicht so genau. Er erhoffte sich
vielleicht einen Bericht, Nachrichten von Zuhause. Die junge Frau schien ihm die Richtige
zu sein: neugierig genug, sich auf den Weg zu machen zur Burg Avalon. Vielleicht
käme sie ja noch einmal in sein Reisebüro nach ihrer Rückkehr? "Was
aber," fragte er sich sorgenvoll, "wenn sie irgendwo anders einen Urlaub
gebucht hat?" Sehr kooperativ ist er ja nicht gewesen. "Vielleicht betritt
sie nie wieder mein Reisebüro und ich sehe sie auch sonst nicht wieder, dann werde
ich es niemals erfahren, ob sie auf der Burg war und ob sie mir etwas von Zuhause erzählen
könnte," murmelte er vor sich hin.
~~~~~
Stumm standen sie sich gegenüber. Donovan räusperte sich, doch ihm fiel nichts
ein, das er hätte sagen können. Auch Annemarie schwieg. Preciosa kreiste
über ihnen, als wüßte sie, daß es nicht erwünscht sei, diese
Ruhe und das unbestimmte Gefühl der Zusammengehörigkeit zu stören.
Pia schickte Katharina hinaus in den Garten, ein paar Blumen für den großen
Tisch im Esszimmer zu pflücken, der nur selten genutzt wurde. Doch an diesem Abend
sollte der Raum in seinem vollen Glanz erstrahlen. Nachdenklich sah sie Darryl an.
Was er wohl denkt, fragte sie sich. "Ob er genauso unruhig ist, wie ich?"
Sie wagte nicht, ihn danach zu fragen. "Ob er sie gefunden hat?", fragte
Darryl in die Stille hinein. Pia schreckte aus ihren Gedanken hoch. "Peter hatte
Heimweh", antwortete Pia. "Anders kann ich es mir nicht vorstellen. Er hat
bestimmt schon sehr lange eine Reisebeschreibung vorbereitet, die er nun in einen seiner
Kataloge gesteckt hat. Vielleicht erhofft er sich Nachrichten, von ihr, wenn sie zurückkehrt?"
murmelte Pia mehr zu sich selber.
Die Unsicherheit ergriff sie beide zur gleichen Zeit. "Wie er wohl heißt?"
fragte sich Annemarie. "Ob ich ihn einfach danach fragen kann?" - "Anndra!"
pfiff Donovan seinen Hund herbei. "Das ist Anndra," stellte er ihn vor. "Und
ich heiße Donovan. Den Falken habe ich Dir ja schon vorgestellt," grinste
Donovan etwas verlegen. "Ich heiße Annemarie," murmelte Annemarie.
"Doch Freunde nennen mich Mary." ergänzte sie und lächelte Donovan
schüchtern an.
"Es erscheint mir, wie in einer fremden Welt, einer anderen Zeit, von der ich
in Büchern gelesen habe..." sprudelte es plötzlich aus Annemarie hervor.
"Die Gegend ist irgendwie anders, als zuhause. Auch wenn ich eigentlich nur ein
paar Kilometer weit weg wohne." Donovan blieb stumm und schaute das Mädchen
nur an. Er selber wünschte sich auch ein paar Antworten und sehnte sich nach seiner
klugen Mutter. Sie würde ihn verstehen...
Katharina tollte übermütig auf dem Hof herum, war dem Stallburschen im Weg,
hielt die Magd auf bei ihren täglichen Pflichten und fragte ihrer Mutter Löcher
in den Bauch. Und während der ganzen Zeit fragte sie sich, wann Donovan endlich
nach Hause kommen würde, und warum die Erwachsenen in den letzten Tagen ständig
so einen geheimnisvollen Blick im Gesicht hatten und nur über Belanglosigkeiten
mit ihr sprachen.
"Gehen wir?" fragte Donovan, und sah Mary tief in die Augen. "Ja,"
antwortete sie einfach und folgte Donovan vertrauensvoll, der Trevor am Zügel
führte.
"Komisch," dachte sie, "sonst will ich doch auch immer wissen, was auf
mich zukommt. Warum vertraue ich ihm? Dabei kenne ich ihn nicht einmal. Ach ja, weil
ich ein Abenteuer erleben wollte...", schmunzelte sie vor sich hin.
Still und gedankenverloren blickt Annemarie sich um. Sie standen auf einem schmalen
Weg, an dessen Ende sie ganz klein, wie in weiter Ferne, auf einem Hügel, eine
alte Burg erkennen kann. "Das muß Burg Avalon sein," dachte
sie. Neben ihnen, hinter ein paar kleinen Sträuchern, plätscherte lustig
der kleine Bach. Und auf der anderen Seite des Weges erstrecken sich weite Felder,
auf denen das Korn bald in seiner Reife golden leuchten würde. Dahinter erkannte
sie verschiedene Hügelketten, die ihr auf der Wanderung zur Burg bisher nicht
aufgefallen waren. "Erzähl mir von der Burg," bat Annemarie ihren Begleiter.
Donovan blieb stehen und sah das Mädchen an seiner Seite lange und nachdenklich
an. Auch Mary war stehen geblieben. "Was soll ich ihr nur erzählen?"
fragte er sich. Dann brach es wie eine frische Quelle aus ihn heraus: "Burg
Avalon ist sehr alt. Sie ist seit vielen Generationen im Besitz meiner Familie.
Ich kenne eigentlich gar nichts anderes, als die Burg, das kleine Dorf und unsere Ländereien.
Es muß Dir seltsam vorkommen... Mein Bruder Peter wollte gerne die Welt außerhalb
unserer Burg kennenlernen. Aus dem Grund ging er vor ein paar Jahren weg. Es müssen
seitdem fünf oder sechs Jahre vergangen sein. Ich vermisse ihn oft und frage mich,
ob es ihm gut geht. Meine kleine Schwester Katharina..."
~~~~~
Peter saß noch immer tatenlos an seinem Schreibtisch. Es schien ihm, als seien
Stunden vergangen und niemand betrat sein Reisebüro. Er fühlte sich, wie
in Watte verpackt. Als er auf die Uhr sah, stellte er erstaunt fest, daß es erst
zehn Minuten später war. Langsam und gedankenverloren begann er, die Reiseprospekte
in den Regalen zu ordnen. Versonnen öffnete er den Prospekt, in den er die Beschreibung
von Burg Avalon geklebt hatte... "Na, den Prospekt lege ich besser zur
Seite," murmelte er vor sich hin und trug ihn ins Nebenzimmer.
~~~~~
Pia lief nervös von einem Raum in den anderen und kontrollierte ein ums andere
Mal, ob auch alles in Ordnung sei. "Sind genügend Blumen in den Vasen verteilt?
Habe ich im Gästezimmer nichts vergessen? Stimmt die Speisefolge für das
Nachtmahl?", tausend Fragen schwirrten ihr durch den Kopf. Ermüdet ließ
sie sich auf einen Stuhl in ihrem Damenzimmer fallen. Nachdem sie eine zeitlang den
Kopf hängen gelassen hatte, blickte sie sich um, als sähe sie diesen Raum
das erste Mal. Ein Lächeln machte sich in Pias Gesicht breit, als sie daran dachte,
wie es war, als sie den Raum wirklich das erste Mal betreten hatte. Es war kurz nach
der Vermählung mit Darryl. Die junge Braut durchstreifte die Burg, um alle Räume
und Winkel kennen zu lernen. Dabei entdeckte sie das kleine Erkerzimmer in einem Flügel,
der kaum genutzt wurde, verstaubt und grau wirkte, und verliebte sich dennoch sofort
in diesen Raum. Lange Zeit stellte sie sich in ihren Träumen vor, wie sie dieses
Zimmerchen für sich nutzen würde, wenn es eine Möglichkeit gäbe.
Die Wände würde sie in einer gemütlichen und warmen Pfirsichfarbe streichen,
an den geöffneten Fenstern würden lange, durchsichtige, sonnengelbe Vorhänge
im Wind flattern. Die Fensterbänke stünden voller kleiner Töpfe mit
ihren Lieblingspflanzen. In einer Ecke würde sie ihren großen Birkenfeigebaum
aufstellen und darunter den gemütlichen Schaukelstuhl. Daneben das kleines Tischchen,
ein Erbstück ihrer Großmutter, auf dem sie ihre Bücher ablegen könnte.
Auch ein Regal für ihre Lieblingsbücher dürfte nicht fehlen und in einer
anderen Ecke stünde der große Vogelkäfig mit den Wellensittichen. Ihren
Sekretär würde sie neben der Tür in die kleine Nische stellen... In
ihren Träumen verwandelte Pia das Erkerzimmerchen in ein Paradies, das nur ihr
alleine gehören würde.
Es dauerte gar nicht so sehr lange, bis sich eine Gelegenheit ergab, Darryl auf das
Erkerzimmer anzusprechen. Erst starrte er seine junge Frau erstaunt an ob ihrer Gedanken,
ein eigenes Zimmer zu haben. Dann aber sagte er sich, daß Pia aus einer anderen
Welt käme und sie einfach einen Raum haben müsse, in den sie sich zurückziehen
könne, wenn ihr danach sei, und stimmte ihrem Plan zu.
Voller Feuereifer machte Pia sie damals ans Werk. Liebevoll suchte sie sich die Wandfarbe
aus und bestand darauf, ihr Zimmer selber zu streichen. Darryl schüttelte zwar
verwundert den Kopf, da er es gewohnt war, für alle Aufgaben einen Angestellten
zu haben. Aber er ließ Pia gerne ihre Willen, weil er ihre Freude und das Glück
in ihren Augen erkannte. Auch sagte er sich, daß sie ja aus dieser anderen Welt
käme und diese Arbeit als selbstverständlich ansehen würde. Mit der
Zeit wurde aus diesem grauen, düsteren Raum ein kleines Paradies. Übermütig
stellte Pia den Raum Darryl eines Tages als ihr "Damenzimmer" vor.
Und nun saß sie hier auf dem Stuhl vor ihrem Sekretär und dachte darüber
nach, wie eine junge Frau, die auf dem Weg zur Burg war, sich fühlen würde
und erinnerte sich auch an die Zeit, als sie selber jung war und Darryl gerade erst
kennen gelernt hatte. Damals war sie gerade erst den Kinderschuhen entwachsen, so kam
es ihr heute vor.
Pia ließ sich fallen in die Gedanken an ihre Vergangenheit. Im Geiste sah sie
sich alleine spazieren gehen, was sie in dieser Zeit recht häufig tat. Sie war
gerade volljährig geworden und hatte kurze Zeit zuvor eine Ausbildung als Gärtnerin
begonnen. Blumen und Pflanzen waren ihre große Leidenschaft. Pia wußte,
sie war eine Träumerin. Tanzveranstaltungen, die ihre Freundinnen besuchten, waren
ihr fremd. Sie verlor sich lieber in ihren Tagträumen...
An einem schönen Sommertag vor 28 Jahren nahm sie ihren Rucksack, gefüllt
mit ein paar Leckereien, Getränken und einem Buch und ging einfach los. Normalerweise
blieb sie in der Nähe des Ortes, an dem sie aufgewachsen war. Doch an diesem besonderen
Tag lenkten sie ihre Schritte nach Westen, in Richtung der in weiter Ferne liegenden
Hügelkette. Um die Mittagszeit erreichte sie einen kleinen, leise dahin plätschernden
Bach, an dem sie Rast machte. Später legte sie sich mit ihrem Buch in das weiche,
duftende Gras. Bevor sie sich auf den Heimweg machte, sammelte sie trockene Ähren,
die nach der Ernte auf einem Feld am Wegesrand liegen geblieben waren. Sie wollte sie
zu einem Kranz binden. Pia erinnerte sich noch, als sei es erst am vorherigen Tag gewesen,
wie das Wiehern eines Pferdes sie plötzlich erschreckt hatte.
Sie blickte auf, und Darryl stand lächelnd vor ihr. Langsam erhob sie sich mit
ihrem fast fertigen Blumenkranz in der Hand und lächelte ihn schüchtern an.
Lange sprachen sie kein Wort, sondern hingen ihren Gedanken nach. Aber es war keine
unangenehme Stille. Pia kam es schon damals so vor, als verstünden sie sich auch
ohne Worte.
Als der Nachmittag dem Ende zuging und der Blumenkranz längst fertig war, räusperte
Pia sich, da sie noch einen weiten Rückweg hatte und es bin zur Dämmerung
kaum schaffen würde, nach Hause zu kommen. Wie selbstverständlich begleitete
Darryl sie eine Zeitlang, sein Pferd am Zügel führend. Zaghaft lächelten
sie sich an und fast gleichzeitig begannen sie zu reden. "Mein Name ist Darryl,
ich lebe dort drüben auf Burg Avalon," begann der junge Mann und wies
mit der Hand in Richtung der Burg. "Ich heiße Pia," antwortete diese.
"Ich komme aus Rosenbach. Darum muß ich mich jetzt sputen, da ich
einen weiten Weg nach Hause habe," entschuldigte sie ihren - in ihren Augen -
hastig wirkenden Aufbruch. Eine Weile gingen sie wieder schweigend nebeneinander her,
jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Schließlich fasste Darryl sich ein
Herz und fragte: "werden wir uns wiedersehen?" Spontan antwortete Pia mit
einen einfachen, erfreuten "ja gerne." Sie hatte sofort Vertrauen zu diesem
jungen Mann gefasst. Er war nicht so wie die lauten, rauhen jungen Männer, die
sie aus ihrem Dorf kannte. Sie hätte es in diesem Moment nicht erklären können,
warum alles so anders war. "Ich gehe an meinen freien Wochenenden viel spazieren,"
erzählte Pia. "Schön," antwortete Darryl, "dann erwarte ich
dich nächsten Samstag wieder hier. Um die Mittagszeit?" fragte er. Pia nickte
nur. Schüchtern reichten sie sich die Hände und verließen einander.
So ging es dann viele Wochen während des Sommers vor 28 Jahren. Immer an den Wochenenden
traf das junge Paar sich an dem kleinen Bach. Manchmal gingen sie schweigend spazieren,
manchmal erzählten sie aus ihren Leben. Pia stellte fest, daß sie nicht
unterschiedlicher sein konnten, daß es schien, sie kämen aus zwei verschiedenen
Welten.
Als der Herbst langsam ins Land zog und die Tage kürzer wurden, wurden auch die
Treffen in den Feldern seltener und kürzer. Darum bat Darryl sie eines Tages,
mit ihm zur Burg zu kommen. Die jungen Leute waren sich inzwischen schon so vertraut,
daß Darryl die junge Frau gerne seinen Eltern vorstellen wollte und ihr sein
Zuhause zeigen. Im Stillen hatte er die Hoffnung, sie hätte ihn lieb genug, um
für immer an seiner Seite leben zu wollen, seine Frau und die Mutter seiner Kinder
werden zu wollen. Pia stimmte der Bitte zu, ihn nach Burg Avalon zu begleiten.
Als der Tag näher rückte wurde sie sichtlich nervöser. "Ob er mich
bitten wird, seine Frau zu werden?" fragte sie sich. "Ob ich wohl mit seiner
Art zu Leben klar kommen werde? Was wird aus meinem Beruf? Was wird mit meiner Familie?"
Tausend Fragen schwirrten Pia damals im Kopf herum...
In der Zwischenzeit waren Annemarie und Donovan im Burghof angekommen. Katharina schoss
schnell wie ein kleiner Wirbelsturm die letzten Stufen der inzwischen ausgetretenen,
breiten Treppe zur Eingangshalle hinunter, um ihrem Bruder um den Hals zu fallen. "Hallo
kleine Schwester, immer langsam," mit diesen Worten fing Donovan seine kleine
Schwester lachend auf. Immer noch vor sich hin schmunzelnd wandte er sich der jungen
Frau an seiner Seite zu und stellte die beiden einander vor: "Mary, das ist meine
kleine Schwester Katharina. Schwesterchen, das ist Annemarie." Ernsthaft schüttelte
Katharina, die immer noch von Donovans starken Armen umfangen war, Annemarie die Hand.
Dann wollte sie wissen: "warum nennt mein Bruder dich Mary?" Auch Annemarie
lachte, als sie dem kleinen Wirbelwind antwortete: "mein Name ist Annemarie, doch
alle meine Freunde nennen mich Mary. Und weil du Donovans kleine Schwester bist und
wir sicher ganz schnell gute Freundinnen werden, darfst du mich auch Mary nennen, wenn
du magst." - "Au ja," strahlte Katharina stolz und schaute fast triumphierend
zu ihrem großen Bruder auf.
"Mutter, Vater," rief Donovan nun laut, "ich habe Besuch mitgebracht!"
Staunend sah Annemarie sich um. Der Burghof war liebevoll mit Pflanzkübeln voller
bunter Blumen geschmückt. In einer Ecke stand ein kleiner Tisch mit vier schmiedeeisernen
Stühlen. Gegenüber dem Eingang erkannte sie den Pferdestall. Es gab einige
Wirtschaftsgebäude und sogar eine kleine Schmiede, wie Annemarie erstaunt feststellte.
Gerade, als Katharina nach ihrer Hand griff und übermütig: "komm, ich
zeige dir hier alles," rief, traten Pia und Darryl aus dem Eingangsportal. Lächelnd
reichte Pia Annemarie die Hand, um sie zu begrüßen und auch Darryl hieß
sie herzlich Willkommen.
"Kommt Kinder," bat Pia, "kommt erstmal rein. Fanny hat sicher ein paar
Erfrischungen für uns bereitet." Sie ging der Familie voraus in das kleine
Esszimmer, welches normalerweise von der Familie genutzt wurde. Sprachlos staunend,
wie in einem Traum gefangen, folgte Annemarie Donovan und seiner Familie. Die ganze
Zeit tanzte Katharina aufgeregt um die junge Frau herum und wollte möglichst viel
wissen und auch gleichzeitig alles erklären, was es zu sehen gab. "Armes
Mädchen," dachte Pia und scheuchte Katharina unter einem Vorwand zu Fanny
in die Küche. Zwar murrend, aber gehorsam, verschwand Katharina und Mary konnte
für einen Moment aufatmen. Staunend sah sie sich um: die Eingangshalle erschien
ihr riesig. Gegenüber des Portals führte links und rechts eine lange, breite
Treppe zu einer Galerie empor. Die Halle war fast rund gebaut. Auf der rechten Seite
sah sie durch eine offene Tür einen Garderobenraum, in dem an Haken verschiedene
Mäntel und Jacken hingen. Die anderen Türen waren geschlossen. Durch die
hohen Fenster auf beiden Seiten des Portals schien freundlich die Sonne und tauchte
die Halle in matt schimmerndes, goldenes Licht. Pia lenkte die Familie zu einer Tür
auf der linken Seite. Sie ging schweigend voran, erinnerte sich an ihren ersten Moment
nach dem Betreten der großen Eingangshalle, wie die Eindrücke sie zu überfordern
schienen. Für Annemarie sah das alles recht verwirrend aus. "Ob ich mich
hier jemals zurechtfinden könnte?" überlegt sie, als Pia ihr den Vortritt
in das kleine Esszimmer läßt. "Oh, wie schön!" ruft sie aus,
als sie den gemütlichen Raum betritt. Die geöffneten Fenster reichen fast
bis zum Boden und lassen viel Helligkeit hinein. Die bodenlangen, zarten Gardinen wehen
leise im Wind. Auf kleinen Tischen an den Wänden schimmert die Sonne auf den Vasen,
in denen bunte Blumen stehen. In der Mitte des Raumes steht ein großer Tisch
mit Stühlen. Auch auf dem Tisch gibt es bunte Blumen, liebevoll in kleinen Väschen
arrangiert, und ein paar Kerzenleuchter. In der linken Ecke ist in einem großen
Kamin Holz aufgeschichtet. Auf dem Sims erkennt Annemarie verschiede Fotografien und
wertvolle Figuren aus Porzellan. "Setzt Euch, bitte," bat Pia. Unschlüssig
blieb Annemarie stehen. Pia nahm sie am Arm und führte sie zu einem Stuhl, so
daß sie einen schönen Blick auf den großen, hinter dem Haus gelegenen
Garten hatte. Donovan nahm neben ihr Platz, gegenüber ließen sich Pia und
Darryl nieder. "Hm," räusperte sich Annemarie, "ich kenne mich
nicht aus mit Euren Bräuchen, Donovan hat mir nicht viel erzählt auf dem
Weg hierher..." begann sie. "Mein Name ist Annemarie, doch meine Freunde
nennen mich Mary. Ich lebe in Amorhausen und..." Pia unterbrach sie: "herzlich
Willkommen auf Burg Avalon, liebe Mary. Entschuldige bitte, daß wir uns
nicht sofort vorgestellt haben. Wir denken, daß dies alles recht verwirrend für
dich ist. Ich heiße Pia und mein Mann Darryl. Na, und Katharina, unser Nesthäkchen,
hast du ja schon kennen gelernt. Es muß dir hier alles wie in einem Traum oder
wie ein Märchen vorkommen." Pia lächelte sie aufmunternd an, während
Donovan recht nervös neben ihr saß und verstohlen unter dem Tisch nach ihrer
Hand griff.
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Peter ertappte sich dabei, daß er immer noch den inzwischen leicht verknüllten
Prospekt in der Hand hielt, in den er die Informationen über Burg Avalon
geklebt hatte. Irritiert ließ er ihn fallen, als hätte er sich an dem Papier
verbrannt. Wenn er sich selber gegenüber ehrlich war, stellte er fest, daß
er sein Zuhause, Burg Avalon vermisste. Er dachte an den Abend vor einigen Monaten,
als er den Prospekt nach der Arbeit mit nach oben in seine Wohnung genommen hatte.
Lange hatte er an diesem Abend vor seinem Computer gesessen und darüber nachgedacht,
wie er Burg Avalon in den Prospekt integrieren könnte. Natürlich hatte
er erkannt, daß die Burg nicht wirklich in einen Prospekt über einsame,
malerische Sandstrände passt. Dennoch wählte er diesen Reiseprospekt aus
und klebte seinen Druck hinein. Danach lag er dann länger in der Schreibtischschublade
in seiner Wohnung, bis er den Mut hatte, den Prospekt im Laden zu deponieren. Und auch
dann vergingen noch einige Monate. Warum er gerade für die junge Frau, die an
diesem sonnigen Tag sein Reisebüro betrat, den präparierten Prospekt zwischen
die anderen mischte, die er ihr zeigen wollte, konnte er nicht erklären. Irgendetwas
mystisches ging von ihr aus, so daß er sich zu diesem Schritt fast zwang. Nein,
wenn er ehrlich war, trieb ihn auch ein wenig die Sehnsucht nach Zuhause und die Hoffnung...
Er stellte fest, daß sich seine Gedanken im Kreis drehten und beschloss, eine
Pause zu machen, zumal es über seine Grübeleien Mittag geworden war.
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Annemarie schaute in die Gesichter um sich herum. Das, was ihr im Kopf herum ging,
hätte sie nicht so schnell in Worte fassen können, wie sie es hätte
wiedergeben wollen. Sie war in diesem Moment genauso unsicher wie Donovan und seine
Eltern. Jeder schien seinen Gedanken nachzuhängen, als Katharina mir fröhlichem
Lachen und Fanny an der Hand erschien, die auf einem Tablett ein paar Kekse, Tee und
frisches Quellwasser in einem tönernen Krug balancierte.
"Erzähl doch mal, wo kommst du her?" fragte Katharina neugierig.
Annemarie räusperte sich und begann zu erzählen...
Am nächsten Morgen fühlte sie sich wie erschlagen, obwohl sie gut geschlafen
hatte. Es pochte vorsichtig an ihrer Tür und sie rief leise: "herein."
Pia lächelte sie an. "Hast du gut geschlafen?" erkundigte sie sich.
"Ja, ich glaube schon," antwortete Mary verschlafen. "Komm hinunter
in unser kleines Esszimmer, wenn du fertig bist, ja? Dann führe ich dich nach
dem Frühstück ein wenig herum," erwiderte Pia und schloss leise die
Türe hinter sich.
Nachdem sie sich in dem kleinen Bad, das zu ihrem Zimmer gehörte, erfrischt hatte,
schlüpfte Annemarie durch die Tür und sah sich im Flur um. Etwas unsicher
wählte sie den Gang nach rechts, in der Hoffnung, daß sich dort die Treppe
nach unten befand. Kurz darauf öffnete sie die Türe zu dem kleinen Esszimmer.
Die Familie saß schon am Tisch und begrüßte sie freundlich mit einem
"guten Morgen.". "Guten Morgen," antwortete Annemarie und nahm
auf dem einzig freien Stuhl Platz. Donovan reichte ihr das Brot mit einem Lächeln
in den Augen. "Hast du gut geschlafen?" fragte er etwas scheu. "Ja,
danke," antwortete das Mädchen ebenso schüchtern. Pia lachte ihrer Familie
entgegen und richtete das Wort an ihren Gast: "weißt du eigentlich, Annemarie,
was es mit dem Traum in der ersten Nacht in einem fremden Bett auf sich hat?"
- "Nein", schüttelte sie den Kopf. "Was denn?" - "Es
heißt," erklärte Pia, "daß sich der Traum, den man in der
ersten Nacht in einem fremden Bett hat, erfüllen wird." Schmunzelnd setzte
sie hinzu: "ich hoffe, du hattest einen schönen Traum?" Alle Augen wandten
sich Annemarie zu. Unsicher starrte sie auf ihren Teller und versuchte, sich an ihren
Traum zu erinnern. Ein paar Augenblicke später antwortete sie: "nein, davon
habe ich noch nie gehört. Aber ich wünsche mir schon jetzt, daß dieser
Traum in Erfüllung geht," fügte sie errötend hinzu. Schnell wechselten
Pia und Darryl einen Blick. Donovan starrte ebenso angestrengt auf seinen Teller.
Nachdem das Frühstück beendet war, wandte Pia sich an ihren Sohn: "ich
hoffe, es ist dir recht, wenn ich dir Annemarie für einige Zeit entführe?"
- "Ja, sicher, Mutter," antwortete er und sah den beiden nach, wie sie nebeneinander
das kleine Esszimmer verließen.
Auch Donovan machte sich seine Gedanken und stellte sich viele Fragen: was würde
die Zukunft bringen? Warum war Mary auf "seiner" Burg? Was hatte sie hierher
gebracht? Mochte sie ihn? Würde sie seine Frau werden? Hatte er auf einmal Hirngespinste
im Kopf? Was war mit Peter? Was dachten seine Eltern? Alles drehte sich im Kreis und
er war froh, einige Zeit allein sein zu können. Was hatte er doch für eine
kluge Mutter!
In der Zwischenzeit hatte Pia Annemarie schon einiges von der Burg gezeigt. Sie erklärte
nicht viel, sondern ging nur stetig ihren Weg. Hin und wieder stellte das Mädchen
eine Frage, die sie gerne beantwortete. Als sie im Damenzimmer angelangt waren, hörte
Pia soetwas wie einen Seufzer: "ist das hübsch!" Mary sah sich um, stand
einige Zeit reglos vor der großen Volière mit den Wellensittichen und
wanderte dann wieder und wieder durch den kleinen Raum, als könne sie sich nicht
satt sehen. Pia ließ sie gewähren und setzte sich auf den Stuhl vor dem
Sekretär. Plötzlich hielt Annemarie inne und drehte sich zu Pia um. "Entschuldige
bitte," murmelte sie, "ich finde diesen Raum so bezaubernd, daß ich
mich gar nicht daran satt sehen kann. Und diese Burg, alles, scheint mir, wie ein Märchen.
Wo bin ich? Was passiert mit mir?" Sie ließ sich auf einen Schemel fallen,
Pia gegenüber. Einen Moment saßen die Frauen sich schweigsam gegenüber.
Dann begann Pia zu reden: "weißt du, ..."
Annemarie hörte sich Pias Geschichte an, ohne sie zu unterbrechen. Sie fühlte
sich, als höre sie einen Teil ihrer eigene Geschichte. Aber in ihrem Kopf überschlugen
sich die Gedanken.
Sie unternahm in den nächsten Tagen und Wochen mit Donovan verschiedene Ausritte
und Spaziergänge und lernte so nach und nach Land und Leute kennen. An einem Abend
gingen sie zusammen in das Wirtshaus in dem kleinen Ort unterhalb der Burg und sie
begleitete Pia mehrmals auf den Markt, der jeden Dienstag stattfand. Auch Katharina
bemühte sich um sie und führte sie stolz in den Garten, um ihr ihre Kräuter
zu zeigen und zu erklären.
Annemarie kam es so vor, als zerrinne ihr die Zeit zwischen den Fingern. Die vier Wochen
Urlaub würden bald vorbei sein...
An einem dieser Markttage ging Donovan zu seinem Vater, der in seiner Kammer brütend
über seinen Büchern saß. "Vater?" fragte er, "hast du
etwas Zeit für mich?" Darryl sah auf und erkannte die Ernsthaftigkeit dieser
Frage in den Augen seines Sohnes. "Natürlich, was kann ich für dich
tun?" wollte er wissen. Donovan schwieg einen Moment und rutschte unruhig an der
Schreibtischkante hin und her. "Hm," räusperte er sich und sprach schnell
weiter, ehe ihn der Mut verließ: " Vater, nun ist Annemarie ja schon einige
Zeit bei uns. Es scheint ihr auch zu gefallen. Aber was tue ich, wenn ihre Zeit um
ist und sie wieder zurück muß in ihr wirkliches Leben?" Darryl hatte
mit dieser Frage gerechnet, wußte aber dennoch nicht so recht, was er antworten
sollte. Was sollte er seinem Sohn raten? "Donovan," begann er, "du bist
noch recht jung, und Annemarie auch. Für sie hat das alles als Abenteuer begonnen,
als sie den Weg hierher fand. Ich freue mich, daß Ihr beiden Euch so gut versteht,
doch was du von mir wissen möchtest, ist, ob es Liebe ist und du sie fragen sollst,
ob sie dich heiraten möchte. Stimmt´ s?" fragte er Donovan. Irritiert
sah dieser seinen Vater an und fragte sich, woher er das wissen konnte. "Hm, ja,"
antwortete er etwas gequält. "Ich weiß nicht, ob es Liebe ist. Dafür
ist die Zeit auch sicherlich noch nicht reif. Weder für dich noch für das
Mädchen. Für Euch beide sind die Eindrücke, das Miteinander noch neu.
Frage sie, ob sie dich wiedersehen möchte, wenn sie zurück nach Hause muß.
Dann wirst du hören, was sie antwortet und kannst entscheiden." - "Aber,
Vater, was ist, wenn sie `nein` sagt?" wollte Donovan wissen. "Sie wird nicht
`nein` sagen," antwortete Darryl mit einem leichten Schmunzeln. Er stand auf und
ging hinüber zu der kleinen Bank am Kamin. Mit einer Geste bat er seinen Sohn,
neben ihm Platz zu nehmen. "Donovan, das Leben ist oft sehr kompliziert. Du weißt,
ich mache nicht gerne viele Worte. Aber ich möchte dir erzählen, wie es war,
als ich deine Mutter kennenlernte..." - " ... und bedenke auch, daß
sie aus einer anderen Welt kommt, die Du nicht betreten kannst."
Annemarie und Katharina saßen währenddessen im Garten auf einer Bank unter
dem alten Walnussbaum. "Wirst du meinen Bruder heiraten?" fragte das Kind
plötzlich in Annemaries Gedanken hinein. "Das weiß ich nicht,"
lachte diese, "zumindest nicht sofort. Er hat mich auch gar nicht darum gebeten.
Wie kommst du darauf?" wollte sie wissen. "Na, es ist alles so geheimnisvoll,
seit du hier bist und niemand redet mehr wirklich mit mir," erklärte Katharina.
Annemarie legte den Arm um Katharina und zog sie an sich. "Weißt du, Maus,"
begann sie, " zum Heiraten gehört schon etwas mehr, als nur Geheimnisse.
Jetzt habe ich Urlaub, der leider bald vorüber ist. Zufällig habe ich deinen
Bruder getroffen und deine Familie und dich kennen gelernt. Es ist wunderschön
hier. Mir kommt alles vor, wie im Märchen. Da wo ich sonst..." - "Was
ist Urlaub?" unterbrach Katharina sie. "Urlaub ist, wenn man nicht arbeiten
muß," erklärte die junge Frau. "Ja, aber was heißt Urlaub?"
bohrte Katharina nach. "Meine Eltern oder mein Bruder arbeiten auch nicht jeden
Tag, dann ist Sonntag. Aber sie nennen das nicht Urlaub und das ist auch immer nur
ein Tag. Du bist aber schon viele Tage hier..." Annemarie drückte das Kind
lächelnd, bevor sie antworten konnte: "da, wo ich herkomme, ist es etwas
anders. Man arbeitet nicht da, wo man wohnt, sondern geht irgendwo hin. Und da, wo
man hingeht, gibt es einen Menschen, der einem sagt, was man tun soll. Und außer
an den Sonntagen hat man noch ein paar weitere Tage keine Arbeit zu machen, die heißen
dann Urlaub. Weißt du, hier, wo deine Eltern und dein Bruder etwas tun, arbeiten,
ist das anders. Das gehört zu den festen Regeln Eures Lebens. Jeder hat seine
Aufgabe. Ich habe nur eine kleine Wohnung, da brauche ich nicht viel zu tun. Also suche
ich mir woanders etwas zu tun, bei Leuten, die mehr Arbeit haben, als sie selber erledigen
können. Außerdem muß ich ja auch Geld mit meiner Arbeit verdienen"
Katharina rückte ein wenig von Annemarie weg und dachte über das soeben gehörte
nach. "Ach so," begann sie, "wenn du aber hier bleiben würdest
und hier immer viel zu tun wäre, bei dem du helfen kannst wie in den letzten Tagen,
könntest du auch keinen Urlaub mehr haben, oder? Müsstest du dann meinen
Bruder heiraten?"
Annemarie bemerkte Pia, die in kurzer Entfernung leise die trockene Wäsche von
der Leine nahm. "Was soll ich nun antworten?" fragte sie sich. Katharina
sah sie erwartungsvoll an. "Ob Pia unser Gespräch gehört hat?"
tausend Fragen schwirrten ihr wieder durch den Kopf. "Na, du, so einfach kann
ich gar nicht hier bleiben. Ich habe ja meine Arbeit, da kann ich nicht so einfach
weg bleiben. Ich muß erst Bescheid sagen, daß ich dort nicht mehr arbeiten
möchte. Und dann dauert es noch ein paar Wochen, bevor ich gehen darf. Es muß
ja erst jemand gefunden werden, der meine Arbeit dort machen kann. Und dann habe ich
ja auch noch meine kleine Wohnung, da sind meine Möbel und meine anderen Sachen
drin. Das kann ich auch nicht einfach so verlassen. Ich müsste mich erst um die
Sachen kümmern. Und ich muß ja auch etwas zu Essen haben, also muß
ich auch hier Geld verdienen können," erklärte Mary dem Kind. Unschuldig
sah Katharina zu ihr hoch und antwortete mit ernstem Gesicht: "na, zu Essen haben
wir hier genug, das reicht auch noch für dich." Die junge Frau begann zu
herzlich zu lachen. "Wie einfach doch das Leben für Kinder ist," dachte
sie. "Na, wir werden sehen, wie es weitergeht," meinte sie und stand auf.
Katharina folgte ihr, als sie sah, daß Annemarie zu ihrer Mutter hinüber
gehen wollte.
Am Abend nahm Pia Darryl zur Seite und fragte: "sollen wir nicht für Mary
ein Abschiedsfest geben an ihrem letzten Abend?" - "Ja," antwortete
dieser, "das ist eine gute Idee."
Je näher der Abschied kam, desto stiller wurden Annemarie und Donovan. Sie ritten
immer noch hinaus in die Hügel, unternahmen lange Spaziergänge und sprachen
über alles mögliche. Nur ein Thema vermieden beide.
Pia bemerkte die innere Unruhe der jungen Leute und erzählte beiläufig, daß
sie und Darryl eine Abschiedsparty für Annemarie geplant hätten. Katharina
begann zu jubeln, da es nur wenige Feste in der Burg zu feiern gab und sie sich deshalb
sehr freute. Annemarie und Donovan sahen sich traurig in die Augen und dann etwas hilflos
in Pias Richtung. Annemarie bot Pia ihre Hilfe bei den Vorbereitungen an. Diese wurden
jedoch abgelehnt, mit dem Hinweis, sie solle einen schönen, letzten Spaziergang
mit Donovan unternehmen.
Früh am Morgen hatte Annemarie ihre Tasche schon fast fertig gepackt. Dann ging
sie hinunter zum Frühstück in das kleine Esszimmer. Donovan sah ihr lächelnd
entgegen. "Schau mal, "Fanny hat uns ein paar Kleinigkeiten für den
Mittag eingepackt." - "Ach wie schön," freute sich die junge Frau
und dachte dennoch wehmütig daran, daß es ihr letzter, gemeinsamer Spaziergang
sein würde, zumindest für eine lange Zeit. Nach dem Mahl brachen sie auf,
ohne dem Rest der Familie begegnet zu sein.
Zögernd nahm Donovan nach einiger Zeit Marys Hand fest in seine. "Mary,"
begann er... Erwartungsvoll sah sie ihn an. "Was machen wir denn jetzt, wo du
morgen wieder fort musst? Du weißt, ich kann dich in deiner Welt nicht besuchen."
- "Ich weiß es nicht," antwortete sie nach einiger Zeit. "Ich
mag dich, und ich möchte dich gerne wiedersehen," sprach der junge Mann an
ihrer Seite weiter. "Doch ich kann dich nicht einfach bitten hier zu bleiben.
Ich kann dich auch nicht einfach fragen, ob du meine Frau werden möchtest. Wir
kennen uns noch nicht sehr lange, auch wenn mir die Zeit mit dir wie eine kleine Ewigkeit
vorkommt." Wieder schwiegen beide. "Was ist," begann Donovan wieder,
"wenn du nach Hause kommst und mich vergisst?" Fast ängstlich sah er
sie an. "Ich weiß es wirklich nicht," seufzte Annemarie. "Vergessen
werde ich dich sicher nicht. Aber ich glaube, wir brauchen auch ein wenig Zeit, um
uns über unsere Wünsche und Gefühle klar zu werden. Mir kamen diese
letzten Wochen vor wie ein Märchen, ein Traum. Alles, was ich gesehen und erlebt
habe, war so ganz anders, wie ich normalerweise lebe. Es fängt schon damit an,
wie Ihr Euch kleidet, Eure Bräuche, die Einrichtung in der Burg, wie Ihr miteinander
umgeht, einfach alles... ." beendete sie hilflos ihre Erklärungen. Nach einiger
Zeit zog Donovan sie neben sich ins Gras. Sie sah sich um und erkannte die Stelle,
an der sie sich das erste Mal getroffen hatten. "Ich werde wieder Urlaub haben...,"
begann Annemarie. Donovan unterbrach sie: "meine Mutter hat vorgeschlagen, daß
wir uns schreiben. Ich musste einfach mit jemandem reden und habe sie um Rat gefragt,"
erklärte er unsicher. "Ja, wenn es uns möglich ist," antwortete
die junge Frau. "Darfst du denn mit meiner Welt in Berührung kommen?"
wollte sie wissen. "Ja. Meine Mutter erklärte mir, daß dies der einzige
Weg sei, der unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sei." Gedankenverloren packte
Mary die Leckereien aus, die Fanny für sie beide in einen kleinen Korb gepackt
hatte: kaltes Fleisch, Brot, Käse, frisches Quellwasser und ein paar Äpfel.
~~~~~
In den vergangenen Wochen war Peter wieder ruhiger geworden und dachte nicht mehr jede
Minute an Burg Avalon. Nur noch ab und zu fragte er sich, was aus der jungen
Frau geworden sei, die in seinem Reisebüro den Prospekt der Burg gesehen hatte.
Ansonsten verlief sein Alltag genauso ruhig, wie zuvor. Tagsüber war er in seinem
Reisebüro, an den Abenden traf er sich hin und wieder mit seinen Freunden und
an den Wochenenden hatte er begonnen, kurze Fahrten in die Umgebung zu unternehmen.
Diese wollte er gerne ausarbeiten, um seinen Kunden auch Wochenendurlaube empfehlen
zu können. Er hatte beobachtet, daß gerade ältere Menschen lieber nur
zwei oder drei Tage weg fuhren, als einige Wochen, und dann auch nicht so weit.
~~~~~
Pia wartete schon am Portal, als die jungen Leute am späten Nachmittag von ihrem
Spaziergang zurück kamen. Sie beobachtete genau ihre Gesichter und stellte erfreut
fest, daß beide lachten. Der ernste und auch traurige Ausdruck in ihren Augen
war verschwunden. "Sind wir zu spät?" fragte Annemarie, als sie bei
Pia angelangt waren. "Nein, Ihr Lieben, Ihr habt noch Zeit genug, Euch in Ruhe
umzukleiden," antwortete sie lächelnd. Etwas später traf sich die ganze
Familie im großen Esszimmer, wie am ersten Abend, nachdem Annemarie auf Burg
Avalon angekommen war. Der Raum war wieder prunkvoll geschmückt mit Kerzen
und frischen Blumen aus dem Garten, die herrlich dufteten. Es gab verschiedene Gänge:
eine kleine Vorspeise, Suppe, Braten mit frischem Gemüse und einen Obstsalat.
Dazu gab es einen leichten Wein, für Katharina Saft aus den Äpfeln, die im
Garten wuchsen und frisches Quellwasser. Die Stimmung war heiter und gelöst, auch
wenn sich jeder fragte, was die Zukunft bringen würde. Niemand wagte, das Thema
anzusprechen. Erst spät Am Abend verabschiedete sich Annemarie und wünschte
eine Gute Nacht. Donovan blieb noch einige Zeit bei seinen Eltern sitzen.
Gedankenverloren kaute er auf einem Stück Apfel, als Pia in die Stille hinein
fragte: "und, Sohn, werdet Ihr Euch wiedersehen?" Teilnahmsvoll sah sie ihn
an. Er schluckte seinen letzten Bissen hinunter, bevor er langsam antwortete: "ja,
Mutter. Wir wollen uns schreiben, wie du es mir geraten hast. Und wenn Annemarie mich
wirklich gerne hat und ich sie auch, kommt sie in ihrem nächsten Urlaub wieder
zu uns."
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen verabschiedete Annemarie sich
von Pia, Darryl und Katharina und dankte ihnen für die schöne Zeit, die sie
auf Burg Avalon verbringen durfte. Donovan wollte sie noch ein Stück ihres
Weges begleiten. Fanny hatte ihr ein kleines Päckchen mit Leckereien zum Abschied
in die Hand gedrückt.
Donovan führte Trevor wieder am Zügel, wie an dem Tag, als sie sich das erste
Mal getroffen hatten. Preciosa zog ihre Kreise am Himmel hoch über ihnen und Anndra
lief aufgeregt mal vor und mal hinter ihnen her, wenn er nicht gerade die Fährte
eines Kaninchens witterte. Schweigend gingen Annemarie und Donovan Hand in Hand den
Weg zu den kleinen Bach. Sie sprachen nicht viel an diesem Vormittag. Als die junge
Frau das Plätschern des Wassers hörte, blieb sie stehen und sah Donovan tief
in die Augen. "Bitte," bat sie ihn, "gehe nun zurück. Ab hier möchte
ich gerne alleine weiter gehen." Der junge Mann zog sie in seine Arme und küsste
sie zum ersten Mal zärtlich auf die Lippen um ihr Lebewohl zu wünschen.
Langsam drehte Annemarie sich um und ging weiter, damit er ihre Tränen nicht sähe...
© Anke
05. September 2004
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